Die kleine Apfelschwester entdeckt das Schaukeln auf dem Spielplatz.
Archiv für 2014
Die Rede des Friseurs
Dunkle Gedanken über Idealismus und Naivität. Und über die Angst, nichts tun zu können.
Im siebzehnten Kapitel des Evangelisten Lukas steht: Gott wohnt in jedem Menschen. Also nicht in einem oder einer Gruppe von Menschen. Vergesst nie, Gott lebt in euch allen, und ihr als Volk habt allein die Macht, die Macht Kanonen zu fabrizieren, aber auch die Macht Glück zu spenden. Ihr als Volk habt es in der Hand, dieses Leben einmalig kostbar zu machen, es mit wunderbarem Freiheitsgeist zu bedringen. Daher im Namen der Demokratie: lasst uns diese Macht nutzen, lasst uns zusammenstehen! Lasst uns kämpfen für eine neue Welt, für eine anständige Welt, die Jedermann gleiche Chancen gibt, die der Jugend eine Zukunft und den Alten Sicherheit gewährt.
Charles Chaplin, 1940
Diese Worte sind nahezu genauso alt, wie der Beginn des zweiten Weltkriegs her ist, und haben an Deutlichkeit und Wirkung nichts verloren. Sie stammen aus dem Film »Der große Diktator«, in dem ein jüdischer Friseur gegen Ende mit dem »tomanischen« Führer »Anton Hynkel« verwechselt wird und nun eine Rede vor dem Volk halten soll. Manche mögen über den Idealismus solcher Worte lachen. Vor 75 Jahren und heute. Manche mögen die Rede als Farce und »Gutmenschentum« abtun. Aber was bedeutet es schon, ein »Gutmensch« zu sein?
Anstatt sich mit erhobener Faust gegen die Missstände dieser Welt zu erheben, anstatt mit erhobener Faust von Gott und den Menschen zu fordern, dem Kriegstreiben und der Kriegsrhetorik unserer Zeit ein Ende zu setzen, werden wir im Gottesdienst am Sonntag nächste Woche gemeinsam ein Lied singen, in dem es heißt:
Manchmal denk ich traurig: Ich bin viel zu klein! Kann ja doch nichts machen! Und dann fällt mir ein: Erst einmal beginnen. Hab ich das geschafft, nur nicht mutlos werden, dann wächst auch die Kraft. Und dann seh ich staunend: Ich bin nicht allein. Viele Kleine, Schwache stimmen mit mir ein: Alles muss klein beginnen. Lass etwas Zeit verrinnen. Es muss nur Kraft gewinnen, und endlich ist es groß.
Gerhard Schöne: Alles muss klein beginnen
Ist das naiv? Ja, das ist es. Aber was bleibt uns anderes übrig?
Unbeschwertheit
Hallo.
Früher
Früher war die Wohnung größer. Steckdosen waren ungefährlich und alle Schubladen konnten ohne Probleme geöffnet werden. Früher war es kein Geheimnis, wenn Eis oder Schokokekse im Haus waren. Früher war weniger Spielzeug. Wäscheständer waren noch Wäscheständer und keine Höhlen oder Baumhäuser. Und Klappkisten konnten aufgeklappt werden, ohne dass sich gleich jemand hineinsetzen wollte.
Früher wurde beim Einschlafen nicht gesungen. Das Doppelbett war ein Bett für zwei Leute. Früher war mehr Schlaf, und wer den Wecker auf 7 Uhr stellte, wurde nicht ausgelacht. Früher konnte man auch mal alleine aufs Klo gehen. Die Verdauung war weniger oft Gesprächsthema und wir hatten noch kein richtiges Wort für »Stinkie«.
Früher war Gehen einfach Gehen. Niemand ging rückwärts, wollte getragen werden oder Andreas an den Ohren festhalten. Früher kannten wir nicht alle Spielplätze in der Umgebung. Wir waren einfach wir selbst und nicht König Sarastro oder Königin der Nacht, Tiger oder Bär, Johnny Mauser, Franz von Hahn oder der dicke Waldemar.
Früher verteilte Petra in der Apotheke Traubenzucker und wurde in anderen Geschäften nicht gefragt, ob einer ihrer Begleiter vielleicht einen Traubenzucker haben wolle. Früher kreischte niemand vor Freude, wenn Andreas nach Hause kam.
Früher war alles schön. Aber wir waren keine Familie.
Heute sind wir eine, und alles ist ganz wunderbar wundervoll noch schöner.