Hebammen sind nicht nur Geburtshelferinnen, sondern Ernährungsberaterinnen, Psychotherapeutinnen und vor allem Vertrauenspersonen für Frauen. Doch die Existenz dieser Berufsgruppe ist in Gefahr. Zu einer Infoveranstaltung mit dem Dokumentarfilm »Einsame Geburt – Hebammen in Not« und anschließender Podiumsdiskussion sind am Dienstagabend mehr als 100 Interessierte in das Evangelische Gemeindehaus gekommen, um sich über die aktuelle Entwicklung zu informieren.
Ein Bericht von Kirsten Pieper
Für die Hebammen, die in der Regel freiberuflich arbeiten, wird der Handlungsspielraum immer enger. Zum einen gibt es das Problem mit der teuren Haftpflichtversicherung. 6.274 Euro muss eine Hebamme dafür derzeit im Jahr berappen. Diese enorm hohe Summe hat bereits viele Hebammen zur Berufsaufgabe bewegt. Folge: Geburtshäuser mussten schließen, eine flächendeckende Versorgung vor allem im ländlichen Raum ist schwierig geworden und eine 1-zu-1-Betreuung durch Hebammen in der Geburtshilfe ist kaum noch zu gewährleisten. Hinzu kommt eine weitere Entwicklung: Ein Rahmenvertrag, der Ende September von einem Schiedsgericht ausgehandelt wurde, legt neue Ausschlusskriterien für Hausgeburten fest. In Zukunft sollen Schwangere, die den errechneten Entbindungstermin drei Tage überschritten haben und ihr Kind zu Hause gebären möchten, die Erlaubnis eines Arztes einholen müssen, sonst bezahlt die Krankenkasse die Geburt nicht.
»Geburt ist keine Krankheit«
Um auf die prekäre Situation der Hebammen aufmerksam zu machen, haben die beiden Offenburger Mütter Sarah Schulze und Petra Matern in Kooperation mit der Evangelischen Erwachsenenbildung am Dienstagabend ins Evangelische Gemeindehaus der Stadtkirchengemeinde eingeladen. Gezeigt wird der Film »Einsame Geburt – Hebammen in Not«. Die Regisseurin Nadine Peschel macht sich darin auf die Suche nach Ursachen für das Dilemma der Hebammen. Vor allem das Dickicht aus unterschiedlichen Akteuren und deren gegensätzliche Partikularinteressen macht die Betrachtung für den Außenstehenden oft schwierig. Krankenkassen, Versicherer, Ärzte und letztlich die Hebammen stehen sich gegenüber. Sie alle kommen im Film zu Wort. Und dass bei Krankenkassen und Versicherern die Gewinnmaximierung im Vordergrund steht, ist keine überraschende Erkenntnis, die zutage kommt. »Eine rein ökonomische Betrachtungsweise funktioniert aber bei Familien nicht«, bilanziert die Juristin Nina Straßner. Die Politik sei gefragt, einen Ausgleich zu schaffen, fordert die Familienrechtlerin im Film. Für den Gynäkologen Wolf Lütje ist klar: »Die Hebammen sind für das Normale zuständig, die Ärzte für das Pathologische.« Und die Hebamme Christine Bruhn vom Geburtshaus Charlottenburg sagt: »Geburt ist keine Krankheit, sondern ein physiologischer Prozess und eine hochemotionale Sache, die nicht unter technisch-medizinischen Einfluss muss. Wenn wir nicht anfangen, junge Menschen von Geburt zu begeistern, dann wird die natürliche Geburt aussterben«, warnt sie. »Wir erschweren es den Familien, Ja zu einem Kind zu sagen, weil wir den Rahmen für Geburten abschaffen.« Sie verweist auf Zustände in den USA: Dort sei Geburtsvorbereitung Privatangelegenheit und von jeder Frau aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Doch welche Lösungen kann es geben? Die Ansätze reichen von Haftungsobergrenzen, über einen Haftungsfonds aus Steuergeldern bis hin zu einer kompletten Reform des Gesundheitswesens.
»Wer hilft uns noch, wenn es keine Hebammen mehr gibt?«
In der anschließenden Podiumsdiskussion bricht der Kehler Frauenarzt Eike-Hans Theopold eine Lanze für die Arbeit der Hebammen. Der niedergelassene Gynäkologe begleitet seit 27 Jahren unter anderem Hausgeburten in der Ortenau und bemängelt, dass Schwangere zusehends als ein medizinisches Risiko dargestellt würden. Für ihn ist die Geburt ein Kulturgut und damit eine hoheitliche Aufgabe des Staates. »Es geht immer um Kitaplätze, aber die Geburt wird vergessen.« Mela Pinter vom Geburtshaus Mayenrain bei Freiburg führt ihre Erfahrungen als Hebamme aus. »Wir Hebammen wissen seit Jahrhunderten, wie wichtig Schutzräume für Geburten sind. Es ist wichtig, diese Schutzräume weiter zu organisieren, sei es zu Hause oder im Klinikum.« Für die Vertreterin des Hebammenverbandes Baden-Württemberg, Christel Scheichenbauer, steht die Wahlfreiheit von Frauen auf dem Spiel. »Die aktuelle Entwicklung ist eine Beschneidung der Frauenrechte«, sagt sie bezogen auf die neuen Ausschlusskriterien. Als Vertreter der Politik sitzt der Grünen-Landtagsabgeordnete Thomas Marwein auf dem Podium und kündigt an, sich engagieren zu wollen, wenngleich er einräumt, dass das Thema eher in der Bundespolitik angesiedelt sei. Eine junge Frau aus dem Publikum spricht mit ihrem Beitrag vielen Anwesenden aus dem Herzen: »Wer hilft uns noch, wenn es keine Hebammen mehr gibt? Wir haben keine Großfamilie mehr, unser eigenes Kind ist oft das erste Baby, das wir überhaupt im Arm halten.« Christel Scheichenbauer vom Hebammenverband richtet ihren Appell an die Anwesenden: »Je mehr Leute uns unterstützen, desto mehr Gewicht bekommen wir.«
Wir veröffentlichen diesen Text dank der freundlichen Genehmigung von Kirsten Pieper.
- Hebammen sind in großer Sorge (Offenburger Tageblatt)
- Teure Haftpflicht-Prämien bedrohen Hebammen-Beruf (Badische Zeitung)
Das nächste Treffen für alle, die an dem Thema dranbleiben wollen:
Montag, 7. Dezember 2015, 20.00 Uhr
Gemeindehaus der Evangelischen Stadtkirchengemeinde Offenburg
Poststraße 16, 77652 Offenburg
[…] Gründung der neuen Regionalgruppe Ortenau von Mother Hood e.V. […]